Esterházypark

Mit elf ging meine Kindheit zu Ende, weil mein Bruder von der Dachterrasse seiner Freundin Valerie fiel, während ich einen Stock tiefer fernsah. Seither war viel Zeit vergangen, aber ich musste immer noch oft daran denken, und dann wurde es finster in mir, als wären alle Lichter aus.
Laub wirbelte über den Asphalt und raschelte unter den Schritten, während ich den Weg von der U-Bahn zu meinem Geschäft nahm. Ich kam in den Esterházypark, wo sich an warmen Nachmittagen auf den Spielplätzen Eltern mit ihren Kindern drängten. Ein Flakturm aus dem Zweiten Weltkrieg
ragte in den von Federwolken bedeckten Himmel. Obdachlose stromerten auf den Wegen, weil sich eine Straße weiter die Gruft befand, ein Nachtasyl der Caritas. Vermutlich wäre es besser, die Leute hier nach ihren Lebensgeschichten zu befragen, anstatt über meine zu grübeln, aber ich sah immerzu Janus auf dem Gehweg unter der Dachterrasse liegen. Das Gesicht in einer Regenpfütze und die Schultern verrenkt. Ein Windstoß hebt eine Strähne seiner Nackenhaare, und mir kommt es einen Augenblick so vor, als bewege sich auch seine Hand. Dann breitet jemand eine Decke über ihn.
Beim oberen Eingang des Parks bellte ein Hund. Vor einigen Tagen war ich dort auf dem Weg einer Frau begegnet, die Valerie ähnlichgesehen hatte. Die rotblonden Haare fielen ihr glatt in die Stirn, und neben ihr lief ein Windhund her, dessen Fell milchkaffeebraun glänzte. Valerie hatte sich immer einen solchen Hund gewünscht, ihre Mutter hatte aber keine Haustiere in der Wohnung erlaubt. Mit wippenden Schultern kam sie auf mich zu, und obwohl die Sonne mich blendete, glaubte ich, einen Anflug von Glück auf dem blassgelben Gesicht zu erkennen. Ich wollte ihren Namen rufen, brachte aber keinen Ton heraus, und dannwar sie wieder fort. Seitdem ging ich oft hier vorbei, weil ich hoffte, sie wiederzusehen.
Am Ende des Parks verlief eine Mauer. Ich nahm die Treppe rechts davon zur Gumpendorfer Straße hinab und eilte in Richtung Gürtel. Kein Grün hier, dafür umso mehr Asphalt und Beton. Vor dem Zinshaus mit Rundbogenfenstern blieb ich stehen und sah in die Auslagen. Nierentische, Cocktailsessel, Sideboards. Am schönsten war das lindgrüne Sofa in der Mitte, ein Entwurf aus den 1950er-Jahren, neu gepolstert und tapeziert. Eine Passantin warf im Vorübergehen einen Blick darauf. Die Zeiten, in denen Möbel aus den 1950er- und 1960er-Jahren als kitschig gegolten hatten, waren zum Glück vorbei, und heute schätzten vor allem junge Menschen den eigenwilligen Stil dieser Epoche.

Aus: Mein Bruder Janus, Roman, Elisabeth Schönherr, BoD 2024.