Schon als Kind liebte ich Bücher und Geschichten, dennoch verleidete mir eine Rechtschreibschwäche über Jahre hinweg den Deutschunterricht.
Die Liebe zu den Büchern verdanke ich meiner Mutter, die regelmäßig mit mir in die Bücherei ging, so wie sie selbst es als Kind getan hatte, auch wenn sie niemand dazu aufgefordert hatte.
Nach der Matura hätte ich gern Germanistik studiert, aber ich getraute mich nicht. Heute bedauere ich es, dass ich dieses Studienfach nicht gewählt habe, denn abseits der Schriftstellerei spielte ich mit dem Gedanken, als Lektorin in einem Literaturverlag zu arbeiten. Wenn ich daran zurückdenke, warum ich mich gegen die Germanistik entschieden habe, so wird mir klar, dass es etwas mit dieser meiner orthografischen Schwäche zu tun hatte. Ich hatte Angst, mir während des Studiums eine Blöße zu geben oder gar – trotz großer Bemühungen – weiterhin fehlerhaft zu schreiben.
Heute bedauere ich es, dass ich mich nicht schon in meiner Jugend meinen Ängsten gestellt und das Regelwerk der Sprache von der Pike auf gelernt habe.
Ich studierte also Vergleichende Literaturwissenschaft, was mir im Vergleich zur konservativen Germanistik moderner erschien. Ich war stolz darauf, Komparatistin zu sein und betonte gern, dass die Komparatisten eben einen etwas weiteren Horizont hätten als die Germanisten, was nicht falsch war. Ich schrieb jedenfalls ambitionierte Seminararbeiten über den deutschen Film der Zwanzigerjahre, die russischen Formalisten und die Literatur der Perestroika. Meine Arbeiten musste ich allerdings immer von Studienkolleginnen der Germanistik Korrektur lesen lassen, was nicht nur mein Selbstwertgefühl, sondern auch mein Studentenbudget belastete.
Als ich später Schriftstellerin sein wollte, hatte ich mich mit meiner Schwäche längst abgefunden und war sogar ein wenig stolz auf meine vermeintliche Auflehnung gegen die deutsche Rechtschreibung. Schließlich war ich eine Linke und wollte nicht rechtschreiben. Vor allem wollte ich authentisch, unverwechselbar und originell sein. Das komplexe Regelwerk der Fachbücher schien das zu unterlaufen.
Später lernte ich deutsche Grammatik, weil ich Deutsch als Zweitsprache unterrichtete, für mich die Voraussetzung, um auch die Orthografie und Zeichensetzung endlich zu erlernen. Heute weiß ich, dass sprachliche Kreativität und die Beherrschung des Regelwerks einander bedingen und die Auseinandersetzung mit kniffligen Fragen von Rechtschreibung und Grammatik ebenso Freude bereiten wie die Gestaltung einer literarischen Figur oder eines Dialogs.
Das Regelwerk der Sprache lebt von den ständig neuen Impulsen aus der gesprochenen und geschriebenen Sprache, genauso wie die Literatur das Korrektiv von Grammatik, Orthografie und Zeichensetzung benötigt, um an Schönheit und Klarheit zu gewinnen.
(Foto: Pixabay, Esel, Étretat, Normandie)